Global Bass Online February 2002
|
Buy a copy of ~~~~~~~~~~~~~~~ |
von Alessandro Arcuri
Alessandro
Arcuri: Ich habe bemerkt, dass du sowohl mit klassischem wie auch mit
elektrischem Bass angefangen hast. Hast du zuerst mit elektrischem Bass
angefangent? Massimo
Moriconi: Ja, ich habe Rock gespielt. AA:
Vermutlich wegen den Beatles. MM:
Nein, wegen fast allen, Jimi Hendrix, Santana, Cream…
AA:
Und dann gingst du ans Konservatorium? [L. Refice Konservatorium in Frosinone]
MM:
Ja, ich habe es angefangen, aber nie abgeschlossen. Ich war nur fuenf Jahre dort,
denn ich musste auch arbeiten, und konnte nicht alles unter einen Hut bringen. AA:
Aber deine klassische Ausbildung hat dir bei der professionellen Arbeit am Bass
geholfen, oder? MM:
Nun, nicht so sehr, denn ein Studium am Konservatorium ist eine ziemlich
mechanische Sache, da gibt es wenig Musik, viel Kontrabass-Technik, ja, aber
musikalisch gesprochen ist klassische Musik etwas, was du liest, waehrend du
moderne Musik komponierst, wenn du zum Beispiel eine Basslinie oder ein Solo
improvisierst. Deshalb sind das zwei verschiedene Dinge. AA:
Etwas, was mir viele Kontrabassisten mit Diplom-Abschluss sagten ist, dass sie
Musik wirlich anfingen zu verstehen, als sie begannen, Jazz zu spielen. MM:
Absolut richtig. Jazz oder sogar Pop-Musik, egal, nicht notierte Musik. Da ich
viele Seminare halte, treffe ich viele Musiker, auch solche mit Abschluss, die
voellig verbluefft sind, wenn sie einen Gitarristen oder Pianisten sehen, der
Akkorde spielt, indem er einfach die Symbole liest. Was
im klassischen Studium fehlt, ist Harmonie-Analyse, das Wissen, was du spielst.
Klar, ab einer bestimmten Stufe triffst du klassische Musiker, und ich meine die
grossen Italienischen, mit denen ich schon zusammengearbeitet habe, die Jazz und
Pop-Musik lieben, und die das auch gut spielen koennen. Das Problem liegt an den
Konservatorien, wo die Lehrer all die Dinge, die heutzutage Bestandteile der
Musik sind, nicht miteinbeziehen. AA:
Da du ueber italienischen Jazz sprichst, und du ja mit Romano Mussolini, Armando
Trovajoli und so weiter gespielt hast, ich habe herausgefunden, dass man den
Liedern im italienischen Jazz ihre Herkunft anhoert. Was kannst du mir darueber
erzaehlen? MM:
Nun, es gibt einen mediterranen, latin-maessigen Stil. Italien hat eine starke
Persoenlichkeit, musikalisch gesehen, es gibt viele gute Musiker mit einem sehr
persoenlichen Stil. AA:
Viele von ihnen haben auch auf Soundtracks und fuer Filmmusik mitgearbeitet, wie
zum Beispiel Trovajoli. MM:
Ja, aber alle haben mit Jazz agenfangen, auch die Show-Musiker. Ich habe
achtzehn Jahre mit Lelio Luttazzi gespielt, der bei Mina in der “Studio Uno”
Show gespielt hat, und er hat Stuecke von Erroll Garner gespielt. Auch Peppino
di Capri und die Saenger aus der damaligen Zeit haben alle Standards geliebt.
Damals gab es diese starke Kultur in Italien. AA:
Und hast du den Jazz-Einfluss auf den Soundtracks der Sechziger- und
Siebzigerjahre bemerkt, mit ihren komplexen Arrangements? MM:
Absolut! Genau die Stuecke, die in den Fuenfzigern und Sechzigern geschrieben
wurden, sind heute Standards, wie jene von Gorni Kramer. In diesen Liedern war
ein starker Sinn fuer Melodie, den wir heute irgendwie zu verlieren scheinen. AA:
Wurden sie nach den amerikanischen Standards kreiert?
MM:
Ich wuerde eher sagen, nach neapolitanischen Liedern aus dem achtzehnten und
neunzehnten Jahrhundert, die echte Kunst-Werke sind. Wir haben ein riesiges
kulturelles Erbe, doch wir wissen nur wenig davon. AA:
Sagtest du deswegen, dass wir den Sinn fuer melodische Musik verlieren? MM:
Wir verlieren ihn, weil Melodie Fantasie ist, im Gegensatz zur Harmonie, die
eine exakte Wissenschaft ist, mit all den Informationen, die uns heute so rasch
zugaenglich sind, sogar wer spielt, tut dies aus dem Gedaechtnis. Es gibt
weniger Fantasie. Die Bands sind heutzutage weniger wiedererkennbar. Vor zwanzig
Jahren gab es Bands mit einer Bandbreite von Genesis bis Yes, jede mit ihren
eigenen Sounds und Melodien, heute ist alles ausgeglichen. Man macht Platten,
die auf einem Groove oder einem einzigen Akkord basieren, und fuegt ein paar
Riffs dazu. Nicht nur die Musik, jegliche Kunst ist heute irgendwie abgeflacht. AA:
Kommen wir zu deiner Filmmusik-Arbeit mit all diesen sorgfaelig ausgearbeiteten
Arrangements; hast du da ausgeschriebenen Partituren erhalten? MM:
Natuerlich, ein Arrangeur ist dazu da, Partituren fuer jedes einzelne Instrument
zu schreiben, also waren da all die “schwarzen Punkte”, es war alles notiert.
Ich muss hier aber noch etwas dazu sagen. Noch nie habe ich eine Partitur
gelesen, ohne etwas hinzuzufuegen. Ich lese gerne, denn ich finde, es fuehlt
sich nicht anders an als zu spielen, oder was du als “Spielen” betrachtest,
was ja kreieren ist, oder? Fuer mich kann eine Partitur relativ offen
interpretiert werden. AA:
Auch wenn du dich genau an sie haeltst? MM:
Unbedingt. Du kannst Musik nicht aufschreiben, du kannst die Noten aufschreiben,
aber Dynamik, Klang, Verzierungen... das ist Sache des Spielers. AA:
Und die Arbeit, die du in der Pop-Musik hast? Ist das voellig anders? MM:
In der Pop-Musik? Nun, ich rede von Mina, da das fuer mich das Groesste ist….
AA:
Aber dort hast du auch sehr komplexe Arrangements, oder? MM:
Nein, ueberhaupt nicht. Es ist alles improvisiert, erste oder zweite Aufnahme.
Ich habe lediglich die Akkord-Symbole. AA:
Akkord-Symbole und Rhythmus-Vorgaben? MM:
Nein, nein, das ist unsere Sache. Wir arbeiten schon seit zwanzig Jahren mit ihr
zusammen, also hoeren wir den Song einfach und spielen nach Gefuehl, was fuer
mich das Schoenste ist. AA:
Also hoerst du dir einfach ein Demo an, und dann kommt es auf das Gefuehl an,
das du mit den anderen Musikern entwickelst, die ja glaube ich immer dieselben
sind, oder? MM:
Genau, speziell deswegen... da ist zum Beispiel Danilo Rea, der auch schon seit
zwanzig Jahren dabei ist... wir sind immer die gleichen. AA:
Die Suche nach coolen Harmonien ist also Sache des Arrangeurs, waherend der Rest
von den Musikern abhaengt. MM:
Ja, genau. AA:
Bei einigen von Mina’s Liedern hoert man komplexe Harmonien, erweiterte
Akkorde, und ich bekam den Eindruck, es sei alles irgendwie “von oben”
bestimmt. MM:
Ueberhaupt nicht, aber das passiert nur mit ihr. AA:
Genau! Und in Situationen wie zum Beispiel mit Audio 2?
MM:
Ich habe bei ihnen immer meine eigenen Basslinien entwickelt, aber das ist ein
anderes Niveau... Ihre Arbeitsweise ist voellig anders. Etwas kommt vom
Arrangeur, der bereits Ideen fuer den Song hat, aber bei den Bassparts spiele
ich seit zehn Jahren, was ich selber entwickle. Das ist etwas, das mir sehr
gefaellt. AA:
Also ist die Basslinie ihres Hits “sono le venti” von dir!
MM:
Alle sind von mir. Sie haben mir nie eine Basslinie vorgeschrieben. AA:
In diesem Song spielst du ein Ostinato, eine Basslinie, an der man den Song
sofort erkennt. MM:
Ja, das ist extra fuer diesen Song gespielt. AA:
Wenn du zu einem neuen Song etwas spielen sollst, hast du da sowas wie ein
“Bass Riff - Archiv” oder mischst du verschiedene Einfluesse?
MM:
Etwas, das ich nie gerne gemacht habe, ist Basslinien aus Platten raushoeren...
es ist unglaublich, ich weiss, es ist uncool, aber es ist wahr. AA:
Du meinst, Songs lernen? MM:
Genau. Aber ich habe sie mir angehoert. AA:
Also ist es unbewusst, denn nachdem du sie so oft gehoert hast... MM:
Genau, genau, denn was ich spiele, ist was ich mir angehoert habe, aber ich
denke nie an etwas Bestimmtes, ich vermische alles. AA:
Und das Endresultat ist die unmittelbare Komposition einer Basslinie. MM:
Genau. AA:
Ich habe auf deiner Homepage gelesen, dass du fast ausschliesslich Manne Baesse
spielst. MM:
Ja. AA:
Obwohl es fuer dich als italienischer Bassist nahelaege, wenn du ein
italienisches Instrument spielen wuerdest, tust du dies nicht, wegen der
riesigen weltweiten Konkurrenz gegen die zwei oder drei italienischen
Hauptmarken. MM:
Weisst du, ich glaube, das Instrument ist nicht wirklich wichtig, wenn du einen
frischen Saitensatz aufgezogen hast. Der Klang kommt von den Saiten und deinen
Haenden. Wenn du dir genau denselben Bass anhoerst, von zehn verschiedenen
Musikern gespielt, dann hoerst du zehn verschiedene Klaenge. Wenn er sich nicht
verstimmt und kein Brummen hat, genuegt das... heutzutage haben all die
Instrumente fast die gleiche Qualitaet. Ich bekomme jetzt dann ab 2002 einen
Music Man, das ist ein Instrument, das ich wirklich liebe. Aber vor nur zehn
Jahren habe ich Peavey Baesse gespielt, die damals noch keiner kannte. Du kannst
den Unterschied zwischen einem aktiven und einem passiven Bass hoeren, aber
abgesehen davon sind alle Baesse wunderschoen... AA: Also ist das Gefuehl am wichtigsten. Ich habe auch gesehen, dass du darauf den Schwergewicht legst beim Unterrichten. MM:
Ja, denn sonst waere es, als ob man Musik nur auf Noten reduzieren wuerde, oder
nur Worte sprechen wuerde. Denn wenn ich [imitiert eine Computerstimme]
anfangesozuredenohnepausenoderdynamikvonmorgensfruehbisabendsspaet, koennte ich
dir wunderbare Dinge erzaehlen, aber... es waere wie wenn du spielst und dabei
nur an Noten denkst. Noten sind das Letzte, worueber man sich sorgen sollte...
ich meine, es gibt ja nur sieben... es ist die Dynamik, auf die es ankommt,
deine Absicht, die Ideen, der Klang und am meisten, wie du dem Tempo folgst. AA:
Also ist das in deinem Unterricht das Wichtigste.
MM:
Auf jeden Fall, denn wenn ich unterrichte, dann geht es mir darum, dass der
Student gleich anfaengt, Musik zu machen, und von Anfang an Musik zu machen
heisst nicht technische Uebungen, sondern etwas wie “bo-ba-bom, t-chak, ba-bom,
tak, bo-ba bom…”, keine technische Herausforderung, aber du musst das
richtige Timing haben, und den richtigen Sound. Anzufangen Musik zu machen wenn
du das Instrument erst mal in den Fingern haeltst, darum geht es. Wenn du
technische Uebungen machst, einfach nur Tonleitern spielst, machst du keine
Musik, und wenn du versuchst, deine Uebungen in der Musik anzuwenden,
funktionieren sie nicht, weil Musik eine Mischung aus vielen Dingen ist, die du
von Anfang an richtig miteinbeziehen musst. AA:
Klar… Verglichen mit den anderen Bassisten, die ich interviewt habe,
unterrichtest du am meisten. MM:
Nun, ich unterrichte wirklich gerne. Ich mache das jetzt seit fuenfzehn Jahren,
ich habe die ersten italienischen Lehrvideos gemacht, fuenf Stueck, und dann ein
460seitiges Buch mit zwei CD’s, ein weiteres letztes Jahr, einen Rhythmus-Kurs...
das kommt alles von meiner Arbeit. AA:
Hast du Sachen fuer elektrischen und Kontrabass gemacht? MM:
Ja, aber ich habe weniger Kontrabass-Schueler. Letztes Jahr hatte ich neunzehn
Studenten an der Schule in Rom, und nur zwei spielten Kontrabass. AA:
Also wird deiner Meinung nach der Kontrabass generell als Jazz-Instrument
angesehen? MM:
Nein, nein, er wird auch im Pop gespielt. Nun, vielleicht habe ich einfach
Glueck, weil ich mit Mina und Fabio Concato zusammenarbeiten kann, und durch sie
habe ich ihn viel gebraucht... aber ich denke trotzdem, man sieht das recht oft. AA:
Warum ist denn die Balance zwischen den beiden Instrumente so unausgewogen?
MM:
Weil der Kontrabass ein Instrument ist, das alles andere als billig ist, und du
brauchst Monate, um nur die Toene richtig herauszubringen, es ist praktisch eine
koerperliche Herausforderung. AA:
Merkst du Einfluesse zwischen den beiden Rollen? Ich meine, von der E-Bass- zur
Kontrabass-Rolle? Oder betrachtest du sie als zwei separate Sachen? MM:
Ich sehe sie als zwei verschiedene Dinge an, wie auch den bundlosen Elektrobass,
denn es macht keinen Sinn, mit dem bundierten Bass ein paar Riffs zu spielen und
dann dasselbe auf einem Bundlosen zu probieren. Das sind also drei Instrumente,
und die Schwierigkeiten sind eher psychologisch als technisch, ich meine, dass
du dem Instrument nahe kommst und dich von ihm auf verschiedene Arten an die
Musik heranfuehren laesst. Denke einfach, dass du Heavy Metal nicht auf dem
Kontrabass spielen kannst... AA:
Und wenn du dir zum Beispiel eine Basslinie zuerst im Geist vorstellst, kannst
du dich dann entscheiden, auf welchem Bass du das nachher besser spielen kannst? MM:
Klar, zuerst singe ich etwas einfach fuer mich, und dann entscheide ich, mit
welchem Instrument sich das besser umsetzen laesst. AA:
Zurueck zum Unterrichten. Was empfiehlst du einem jungen Bassisten, der sein
Instrument bestmoeglich spielen will? MM:
Als Erstes, trau keinem Lehrer, der dich lehrt, was er kann, denn ein Lehrer
sollte dir nicht Dinge zeigen, sondern er sollte dir zeigen, wie du sie selber
machst. So entwickelst du deine eigene Persoenlichkeit auf dem Instrument, und
es verhindert den “Klon” Effekt des Lehrers selbst. Es ist oft mehr eine
persoenliche als eine musikalische Angelegenheit. Es ist eine grosse
Verantwortung, die leider zu oft nicht richtig in Betracht gezogen wird. Und
nimm nicht an, dass du pro Note bezahlt wirst. Zuerst musst du die Rolle deines
Instrumentes kennen, dass wenn es um “bum, bum, bum” geht, du das auch
machen solltest, weil das vielleicht zu diesem speziellen Stueck passt. Weil du
Musik machst, und das ist das Wichtige. Besuche auch Massimo’s Homepage auf: www.massimomoriconi.com
|
Copyright © 2000-2009 Global Bass Online
|