Global Bass Online October 2001
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Chuck Panozzo Mehr als einmal habe ich gehoert, dass zu den
Dingen, die die Leute an Global Bass schaetzen, das Gefuehl von 'zu Hause sein'
gehoert, dieser familiaere, persoenliche Touch. Dass es viele Magazine fuer
Bassisten gibt, die die technischen Aspekte sehr gut ausleuchten. Worin sich
Global Bass unterscheidet, ist in der Geschichte um den Menschen hinter dem
Instrument. Dass wir uns die Zeit genommen haben, den Star als fehlbaren,
erheiternden, freundlich gesinnten Menschen, wie wir anderen alle auch,
darzustellen. Der Verletzlichkeit genauso ausgesetzt wie wir alle. Zuerst verstimmte mich der Gedanke, dass man uns so
betrachtete, aber nur bis ich realisierte, dass es eigentlich ein Aspekt ist,
der es wert ist, weiterentwickelt zu werden. Unsere spezielle persoenliche Note.
Hier ist nun also die Geschichte eines Mannes, der
ein Leben voller riesiger Erfolge gelebt hat, aber die meiste Zeit davon voellig
allein war. Er hatte grossen Wohlstand, finanzielle Sicherheit, wurde beruflich
geschaetzt, und war trotzdem allein. Ein Geheimnis versteckend, das ihn zu
frueheren Zeiten haette umbringen koennen. Dies ist die Geschichte eines Mannes,
der fast zu spaet, aber gerade noch rechtzeitig herausgefunden hatte, um was es
im Leben wirklich geht. Es muss etwas gesagt werden, wenn man die
Gelegenheit bekommt, mit jemandem reden zu koennen, der Teil eines Musikerteams
war, das die Musikkultur der 70er und 80er Jahre so enorm bereichert hat. Nur
wenige Leute kennen den Song 'Come Sail Away' nicht, und viele, wenn nicht die
meisten von uns kennen andere Lieder der Band STYX sehr gut. Selbst die relativ
neue, aber schon klassische Werbung fuer Volkswagen, fuer die der STYX-Song
'Mister Roboto' verwendet wurde, hat eine ganze neue Generation von Hoerern auf
diese Band aufmerksam gemacht. Chuck Panozzo war der Bassist all dieser Musik
waehrend all der Jahre. In spaeteren Jahren uebergab er seinen Job aus
gesundheitlichen Gruenden an den Bassisten/Gitarristen Glen Burtnik, der Styx
urspruenglich als Gitarrist unterstuetzen sollte in den fruehen 90ern. Gelegentlich jedoch, wenn Styx in der Naehe von
Chuck’s Wohnort spielen, dann kommt er bei einigen ihrer Hits als Gast auf die
Buehne, und Glen wechselt zurueck zur Gitarre. Es ist ein Zeichen der
Wertschaetzung der Band fuer die immense Rolle, die Chuck waehrend all der Jahre
gespielt hat, und ein Geschenk, das Chuck zu schaetzen weiss. Global Bass:
Ein herzliches Dankeschoen an dich und deine Bandmitglieder fuer all die
grossartige Musik, Chuck! Chuck Panozzo:
Ich weiss zu schaetzen, dass du das sagst. GB:
Es gibt vieles, ueber das wir reden koennten, wir koennen uns auf deine
Jahre in der Band konzentrieren, auf deinen kuerzlichen Entscheid zum 'coming
out' als schwuler Mann und deinen Kampf gegen deine Krankeit, AIDS. Wenn wir
diese Dinge besprechen, ist es nur selbstverstaendlich, das wiederzugeben, was
du zu deiner Krankheit zu sagen hast, aber gleichzeitig koennen wir auch einen
grossen Teil der Energie dieses Gespraechs dort verwenden, wo sie es verdient,
naemlich bei deiner Zeit mit Styx. Das eine ist eine private Angelegenheit, das
andere der eigentliche Grund fuer dieses Interview. Ich denke, es muss eine spezielle Tortur gewesen
sein, waehrend all der Jahre als so bekannte Persoenlichkeit in Styx mitten im
oeffentlichen Interesse zu sein und gleichzeitig sein Privatleben verstecken zu
muessen, als ob es ein dunkles Geheimnis bergen wuerde. Chuck: (bezieht sich auf seine Entscheidung zum
'coming out') Es war das befreiendste Gefuehl, das ich je in meinem ganzen Leben
hatte. Ich habe das schon bei frueheren Interviews gesagt, ich haette das nie
einfach fuer mich als Mensch getan. Ich bin jetzt der Sprecher des National
Campaign for Coming Out Day. Ich habe das fuer mich selber getan. Aber ich
wuerde nie jemand anderen 'outen', das ist ein Teil der eigenen Erfahrung, damit
umzugehen. Erst wenn man bereit ist, es selber zu tun. Ich wuerde ihnen gerne
sagen, “Wenn ihr das macht, werdet ihr so gluecklich sein, habt keine Angst
vor Ablehnung. Das schmilzt einfach weg.“ GB:
Hattest du in frueheren Jahren mit Leuten in Bands Kontakt, die gewusst haben
dass du schwul warst, und die sich dir anvertraut hatten? Oder war das veboten? Chuck: Es war sogar verboten, darueber zu reden.
Man war sehr isoliert. GB:
Du wirst mit folgender Aussage zitiert, "Ich hatte Angst davor, dass
jemand etwas in meinem Inneren sehen wuerde, und dann meint, 'Oh, eine Frucht',
darum wurde ich ein Niemand fuer mich selber und alle anderen.". Nun, das ist ein Schluesselsatz, "Ich wurde ein Niemand
fuer mich selber". Chuck: Weisst du, ich fuehlte mich sehr
ausgestossen. Ich pflegte immer zu scherzen, dass ich zwar maennlich genug
aussehe, aber den muendlichen Test nie bestehen wuerde. Ich hatte Angst, wie
eine Elfe zu toenen, wie eine 'Schwuchtel!' Dieser Ausdruck wurde verwendet, ein
beschaemender Begriff. Also redete ich nie so viel. (Bemerkung des Autors: Nicht
dass es eine Rolle spielt, aber Chuck toent ueberhaupt nicht feminin. Ich denke,
dass dieses Sich-selbst-verleugnen ein Teil des Kampfes war. Die negative
Meinung, die er von sich selber diesbezueglich hatte, fussten nicht in der
Realitaet.) GB:
Findest du das wirklich, dass du so toenst? Chuck: Als ich juenger war, sagten mir manche Leute,
'Oh, du toenst wie ein Weichling'. Ich nahm das extrem persoenlich. Vielleicht
hatte jemand einfach eine grosse Klappe, aber weil ich schwul war (und dieser
Begriff exisitierte noch nicht mal, als ich jung war), dachte ich, 'Oh nein, sag
sowas nicht, denn wenn du das tust, dann sagt der Priester, ich komme in die
Hoelle! Dann muss ich zum Psychiater gehen und all diese beschaemenden Dinge,
sogar meine Eltern werden mich verstossen'. Es gibt immer noch Leute, die das
durchmachen muessen. Egal wie alt du bist, solche Worte verletzen immer. Sie
verfolgen dich den Rest deines Lebens. GB:
Die traurige Ironie ist, dass niemand bewusst ein Leben aussuchen wuerde, das
sie aus der Masse heraustrennt, das sie zum Objekt des Spottes so vieler macht.
Ich wurde als Linkshaender geboren. Es war keine bewusste Wahl, ich wurde
einfach so geboren. Wie ich gehoert und gelesen habe, ist es dasselbe mit
jemandem, der schwul ist. Man wird so geboren, genauso wie man als Schwarzer
oder Weisser, blond oder bruenett, maennlich oder weiblich usw. geboren wird.
Wie auch immer, das hat eigentlich mit dem Interview zu tun. Wie waere es, wenn
wir das Thema wechseln und ueber die Band reden, mit der du all diese Jahre
verbracht hast? Wenn ich das richtig verstanden habe, spielst du
gelegentlich noch immer bei Konzerten mit diesen Jungs mit, falls es Zeit und
Terminplan erlauben? Chuck: Ich machte diese 40-Staedte Sommertournee
mit Styx und Bad Company und Billy Squier, und generell fuehlte ich mich in
Ordnung. Ich bin HIV-positiv, darum muss ich sehr auf meine medizinische
Versorgung achten. Ich nehme das sehr ernst, denn ich war 2 Jahre wirklich sehr
krank. Ich werte das ueber alles andere, ich weiss, wie wichtig das ist. Das
kommt heute an erster Stelle. Weisst du, die Jungs waren sehr nett zu mir, ich
durfte mir die Staedte aussuchen, wo ich hinwollte. Ich muss nur 3 Songs spielen.
Glen Burtnik, der 1991 urspruenglich unser Gitarrist war, passte perfekt. Ich
weiss, er ist ein grossartiger Musiker, ein toller Spieler mit viel Energie. Als
die Frage aufkam, wer Chuck’s Platz auf der Tournee einnehmen soll als ich
ihnen sagte, ich sei nicht in der Lage dazu, da sprang Glen in diese Luecke. GB:
Es ist gut, dass er einfach auf die Gitarre wechseln kann, es waere wohl etwas
komisch, wenn er die Buehne verlassen muesste, wenn du fuer deine drei Songs
raufkommst. Das koennte beim Publikum den Eindruck eines Wettbewerbs oder einer
Konkurrenzsituation zwischen euch beiden erwecken. Chuck: Ich habe schon gehoert, als Leute nach dem
Konzert an diesen 'meet and greet' zu Glen sagten "Oh, du spielst
grossartig", da hat sich Glen ihnen zugewendet und gesagt, "Ich spiele
lediglich Chuck’s Parts". GB:
Das ist ziemlich selbstlos. Chuck: Das ist sehr selbstlos! Er ist ein
grossartiger Musiker, und er spielt 'meine Parts' einfach toll. Das ist sehr
wichtig fuer mich. Aber ich fand das cool, denn der Typ hat das nicht richtig
kapiert. GB:
Er hat das sehr nett umschrieben. Ich habe kuerzlich in der
Zeitung gelesen, dass es eine Reihe neuer Medikamente gibt, die ein
Fortschreiten des HIV beinahe stoppen und das Leben des Patienten extrem
verlaengern und die Lebensqualitaet steigern koennen. Chuck: Die Lebensqualitaet ist sehr wichtig. Es
macht keinen Sinn, Medikamente zu nehmen, die dich die ganze Zeit krank machen.
Das kann dir das Leben entziehen, sodass du nur noch existierst. Es sind jedoch
grossartige Medikamente in der Entwicklung, ich bin in einer Versuchs-Studie
dabei, und fuer mich funktioniert es wirklich sehr gut. Der 'Cocktail' wirkt,
und ich sage immer allen Leuten, 'macht den Test'. Bring es hinter dich bevor du
zu krank wirst! Weil wenn du krank wirst, koennen viele Komplikationen entstehen,
und es ist schwieriger, sich wieder zu erholen. GB:
Weil der Koerper an verschiedenen Fronten kaempfen muss? Chuck: Genau. GB:
Konzentrieren wir uns jetzt eine Weile auf die Musik. Wie bist du damals auf den
Bass gekommen, war es 'hey, er ist der Gitarrist, also spiele ich den Bass'? Chuck: Urspruenglich haben mein Bruder (John) und
ich als Schlagzeuger angefangen. Natuerlich war John ein grossartiger
Schlagzeuger, und ich war furchtbar! Wir brauchten also einen Bassisten, und ich
fing an, Bass zu spielen. Ich habe mir das meiste selber beigebracht, was man
manchmal etwas merkt, wie ich finde. Aber ich denke, ich spielte melodischer,
und das passte zu unserer Musik. GB:
Hast du die Songs mitbeeinflusst mit den Basslinien, die du kreiert hast? Chuck: All die Arrangements sind von mir. GB:
Sichert dir das Urheberrechte? Chuck: Ich habe die Veroeffentlichungs- und
Urheberrechte. Der Titeltext von 'Show Me The Way' war meine Idee. Dennis hat
das schriftlich verdankt. Urspruenglich sollte es heissen 'Roll Me Away' und ich
sagte, "Hey Dennis, versuchen wir’s mal mit diesem Text". Ich bin
irgendwie stolz darauf. GB:
Bist du je ein Equipment-Sammler gewesen? Chuck: Nicht wirklich, nein. Jetzt gehe ich direkt
aus dem Hauptsystem und einem Ohr-Monitor. Ich bin da irgendwie aus dem Zeug
rausgekommen. Das war zu kompliziert fuer mich! (lacht). Ich habe einige
Alembic-Baesse. Ich glaube, ich habe einen ganzen Tropenwald abgeholzt, indem
ich sagte, 'Oh, nimm dieses Holz, nimm jenes Holz!'. Dann wurde mir bewusst,
'Oh, was habe ich getan?". Aber es sind wunderschoene Baesse, ich liebe es,
wie sie aussehen. Hier unterbricht Chuck einen Augenblick, um einen
anderen Anruf entgegenzunehmen. Es ist ein Renovations-Bauarbeiter... Chuck: Das hat nur 5 Jahre gebraucht. Bau nie etwas
um, ZIEH UM! Du kannst mich darauf behaften! Chuck Panozzo sagt, renoviere nie,
ziehe einfach aus.' Es ist alles voller Saegemehl hier! Dieser Typ war ziemlich
gut. Kuerzlich hat er mich gefragt, wie lange er schon an diesem Projekt
arbeitet. Ich sagte, "Fuenf Jahre, Gerry!". Das Telefon laeutet nochmals, aber diesmal ist es
ein Fan, der Chuck’s Nummer irgendwie rausgefunden hat... er ist hoeflich,
stellt aber deutlich klar, dass dies eine private Telefonnummer ist. Chuck: Weisst du, ich weiss nicht mal, wer das war! GB:
Du bist also mit der Band auf die 40-Staedte-Tour gegangen. Das war viel Arbeit!
Falls Styx die 2002er Tournee machen, was ja offenbar im Gespraech ist, denkst
du, du wuerdest wieder mitgehen, wenn du dich gesund genug fuehlst? Chuck: Ich koennte vielleicht einen Teil mitmachen,
das Hauptproblem war, dass der Transport wirklich schwierig war fuer mich. Die
Busreisen waren wirklich zu hart, ich konnte mich nicht genuegend erholen. Ich
konnte auch meinen Diaetplan nicht einhalten im Bus. Ich habe waehrend der
ganzen 9 Wochen nicht wirklich gut geschlafen. Es war streng. Darum wuerde ich
heute einfach zu Konzerten einfliegen. Ich habe es versucht, ich habe mein
persoenlich Bestes getan, aber am Ende war ich einfach fertig. GB:
Nun, die Band wollte sicher nicht, dass du dir etwas antust, was dir grossen
Schaden oder Schmerzen zufuegt. Sowas tun Freunde nicht. Chuck: Nein, sie waren wirklich grossherzig. GB:
Ich habe irgendwo gelesen, dass irgendein Manager oder Finanzberater Styx
solchermassen kommentiert hatte, sie seien wie Mc Donalds, die Hamburger
vermarkten. Dass ihr natuerliche Geschaeftsleute seid. Dass ihr sogar eure
Tourneen selber planen, bis ins kleinste Detail. Chuck: Nun, ich schaetze das irgendwie, aber ich
habe es gehasst, wenn die Leute sagten, wir seien ein Rock-Unternehmen. Das
stimmt ueberhaupt nicht. Wir haben mit der Band in unserem Keller angefangen,
als kleine Jungs. Wir haben uns unseren Weg dorthin erarbeitet. Weisst du, wir
waren ziemlich intelligent, wir haben alle das College abgeschlossen, darum
sahen wir das als ein Geschaeft an. Um zu ueberleben, musst du Geld verdienen.
Es ist irgendwie lustig, manche Leute sagen, man muss kein Geld machen. Das ist
zwar suess, aber es entspricht nicht der Realitaet. GB:
So standen die Dinge eine lange Zeit gut, ihr Jungs wart sehr gute Freunde. Aber
alles veraendert sich, und ich spreche hier von Dennis. Er wollte mehr in
Richtung Theater gehen, und ihr habt euch in verschiedene Richtungen entwickelt.
Das verschlimmerte sich immer mehr (Die Band und Dennis DeYoung prozessierten
einander wegen der Verwendung des Bandnamens. Als ihr letztes Album erschien,
hatte Dennis keine Zeit fuer eine Tournee. Er wollte eine Weile pausieren, aber
die Band wollte losziehen. Sie bestanden darauf, dies trotzdem unter dem Namen
Styx zu tun. Jetzt hat Dennis die Band wegen dem Gebrauch des Bandnamens
verklagt). Zur Zeit singt Lawrence (von Strange Animals, A Criminal Mind fame)
Gowan die Choere der Band, die zuvor Dennis gesungen hat. Im Februar 2002
muessen sie in dieser Sache vor Gericht erscheinen. Chuck: Ich weiss nicht sicher, wann das Datum ist,
ich weiss, ich muss im September eine Zeugenaussage machen. Ich freue mich nicht
gerade darauf. Aber es ist eine unglueckliche Situation. Ich kenne Dennis seit
40 Jahren und ich wuensche ihm nur das Beste. Es tut mir so leid, dass er so
verletzt ist, das ist die Wahrheit. Er muss tun, was fuer ihn richtig ist und
ich muss tun, was fuer mich richtig ist. GB:
Eine Band ist wie ein Teil deiner grossen Familie. Es sind du und der Rest der
Band, die gemeinsam all die Dinge und Probleme durchstehen. Wenn du Glueck hast,
kann das Jahrzehnte andauern. Du weisst am Ende alles ueber die anderen Leute,
oft mehr als du eigentlich gewollt hast, einfach dadurch, dass man so viel Zeit
miteinander verbracht hat... und wenn es vorbei ist, hast du jede Menge Munition.
Weil du SEHR VIEL von den anderen weisst. Es kann ein Masstab der inneren
Groesse sein, dieses Wissen nicht gegeneinander zu verwenden. Sich bewusst zu
werden, dass alles einmal zu Ende geht, es einfach loszulassen. Chuck:
Absolut.
Da stimme ich voll und ganz mit dir ueberein. Da gibt es diese Paare, die bei
der Scheidung ihre ‘dreckige Waesche waschen‘. Ich finde das echt
widerwaertig. Aus diesem Grunde versuche ich, moeglichst wenig ueber das Ganze
zu sagen. Es ist nicht noetig, dass sich die Fans mit diesen Dingen
auseinandersetzen muessen. Was da vor sich geht, muss nicht von der
Oeffentlichkeit abgeurteilt werden. GB:
Ich habe gelesen, dass die Kritiken ueber die Band nicht allzu schlecht waren. Chuck:Ich denke, am Anfang haben sie nicht
verstanden, was wir waren. Wir waren eine ArtRock Band, und ich glaube nicht,
dass sie das verstanden haben. Ich denke, manchmal wollen die Kritiker eine Band
finden und sie aufziehen als ob sie es gewesen waeren, die die Gruppe entdeckt
haben. Aber wir waren bereits da, wir kamen aus dem Mittleren Westen. Sie
konnten uns nicht 'entdecken'. Fuer sie musste man von der Ost- oder Westkueste
sein. GB:
Findest du, du hast heute die Zeit und verspuerst den Wunsch, selber etwas zu
schreiben? Chuck: Ich finde, ich entferne mich davon, Songs zu
schreiben. Es ist mehr Erinnerungen, ein Tagebuch schreiben, es gibt sogar Leute,
die wollen, dass ich ein Buch schreibe. Ich versuche mich im Moment nicht auf
Musik zu konzentrieren. Ich fuehle mich innerlich zerrissen darueber, wie
involviert ich wirklich sein kann. Ich mache da ziemlich was durch. Ich gehe
jetzt einfach einen Schritt zurueck. GB:
Hattest du, als du dich den 50 Jahren genaehert hast, das Gefuehl, du kommst ein
bisschen in eine Mid-Life Crisis? Mehr als nur ein paar meiner Freunde wurden
davon in vielerlei Hinsicht beeinflusst, einige etwas aussergewoehnlicher als
die anderen. Chuck: Nun, meine Mutter lag im Sterben, mein
Bruder (John) war ein paar Jahre eher gestorben. Ich war sehr krank geworden,
mein bester Freund seit 22 Jahren war tot. Also, Mid-Life Crisis, ja!!! Viel
mehr als das konnte ja nicht mehr passieren, was Krisen anbetrifft! GB:
Und das war ja alles nicht nur in deinem Kopf, diese Dinge sind wirklich
passiert. Chuck: Das waren reale Situationen. Ich musste mein
Leben wirklich neu bewerten, und wohin ich wollte. Ich musste mich mehr auf mein
persoenliches Leben im ‘hier und jetzt‘ konzentrieren. Jemand fragte mich,
was ich fuer meine Karriere aufgegeben hatte. Ich antwortete: "Alles!". GB:
Nun, vielleicht ist es jetzt Zeit fuer dich. Du hast all die Jahre, ja
Jahrzehnte, damit verbracht, Musik zu machen. Manchmal kommt man im Leben an
einen Punkt, wo es Zeit ist fuer etwas Neues. Denkst du, dass die Idee des
Buches, deiner Memoiren dir ermoeglichen wird, auf eine neue Art kreativ zu sein,
die mehr deinem jetzigen Standpunkt im Leben entspricht? Chuck: Ich habe ein Kunst-Lehrdiplom, ich war
Kunstlehrer. Ich moechte wieder mehr malen und zeichnen. Ich habe Kurse in Jazz
Bass, klassischem Kontrabass, Kunstkurse besucht, ich moechte einfach Dinge tun,
die mich gluecklich machen. Dinge, die man normalerweise zwischen 65 und 75
Jahren macht. Ich kann mir diese Dinge jetzt herauspicken, das geniesse ich
wirklich sehr. GB:
Lawrence 'Larry' Gowan, der jetzige Saenger von Styx, hat in Kanada mit
einer Reihe sehr erfolgreicher Songs angefangen wie "Strange Animal"
und "A Criminal Mind". Er hat aus diesem Erfolg ein schlaues Geschaeft
gemacht und eine kreative Wahl getroffen, indem er zu den Styx gewechselt hat.
Eine weise Entscheidung seinerseits. Chuck: Ich mag Larry sehr gern. Er ist ein grosses
musikalisches Talent, er ist ein grossartiger Mesch, und bringt mich immer zum
Lachen! Wann immer ich mit ihm rede, lache ich mich beinahe tot! Das Telefon laeutet abermals, und Chuck ist fuer
einen Moment weg. Ein vielgefragter Typ! Chuck:
Entschuldige! Naechsten Donnerstag findet
dieser Tanz zugunsten HIV-positiver Leute statt, den das medizinische Zentrum,
bei dem ich bin, sponsort. Ich bin im Unterhaltungs-Kommittee. Ich kriege eine
signierte Gitarre fuer eine stille Auktion und habe eine kleine Band
zusammengestellt fuer diesen Anlass. Jetzt werde ich ploetzlich Produzent und
Direktor und all das! Ich habe jetzt mehr Demobaender von Bands zu Hause denn je,
die alle wollen, dass ich sie mir anhoere. GB:
Ich sehe, du bewegst dich jetzt mehr auf literarisch kreativen Pfaden, aber hast
du waehrend deiner Jahre bei Styx je mit dem Gedanken gespielt, ein Soloalbum zu
realisieren? Chuck: Weisst du, das habe ich nie gemacht. Ich
weiss nicht, wie ueberlebensfaehig das gewesen waere. Vielleicht fehlte mir
einfach der Mut. Ich habe immer mit John darueber geredet, zusammen ein Video zu
drehen, aber aus irgendeinem Grund kam das nie zustande. Wir waren ein tolles
Rhythmus-Team, das zusammenpasste. Ich habe immer gedacht, er hat einfach nicht
lange genug gelebt, damit wir das haetten machen koennen. Es haette ein kleines
bisschen mehr gebraucht, ein wenig mehr Reife auf unseren Instrumenten, und wir
bewegten uns sowieso in diese Richtung. Aber irgendwie haben wir es einfach nie
geschafft. GB:
Wart ihr auch gute Freunde? Chuck: Nun, wir waren Zwillinge, also waren wir
recht gute Kumpel. Wir verbrachten viel Zeit zusammen. Es war eine schwierige
Situation, zu sehen, was er waehrend der letzten Jahre seines Lebens durchmachte.
Ich war fuer ihn da, aber wenn ich das Ende haette besser schreiben koennen, ich
haette es getan. Das war nicht meine Wahl. GB:
Hat er dir aehlich gesehen, als Zwilling? Chuck: Nun, viele Leute sagen, ich sehe ihm heute
sehr aehnlich. Das verwirrt mich sehr, denn ich war immer der Schoenere von uns
Zwillingen (lacht). Ich sagte, "Oh, ich sehe nicht so aus, ich sehe
ueberhaupt nicht aus wie er". Ich habe einen Trainer, der mir hilft, mit allem
fertigzuwerden. Ich mache das drei mal die Woche, das hilft mir sehr, seelisch
wie auch koerperlich. Es hilft mir wirklich aus meinem Kopf heraus. Ich hatte 50
Pfund abgenommen, ich war vor zwei Jahren auf 130 Pfund runter. Das hat einen
grossen Einfluss auf dein Selbstbewusstsein. Ich fuehlte mich besser, aber ich
wollte einfach sicher sein, dass ich besser aussehen wuerde. GB:
Kein erwachsener Mann ist dafuer geschaffen, 130 Pfund schwer zu sein! Bei dem
Untergewicht musst du erschoepft gewesen sein. Chuck: Nun, weisst du, die Jungs (Styx) waren sehr
besorgt. Sie hatten mich zwei Jahre lang nicht gesehen. Ich habe von 1997 bis
1999 abgenommen. Als sie mich am PBS Special gesehen hatten, waren sie toat
schockiert ueber mein Aussehen. Zu der Zeit war ich aber schon bereit, zum Arzt
zu gehen. Ich hatte lange Zeit ueberhaupt nicht bemerkt, wie nahe ich dem Tode
gewesen war. GB:
Denkst du, du hast es nicht bemerkt, weil sich das langsam vollzog? Chuck: Es brauchte eine Weile. GB:
Und auch das Verleugnen. Chuck: Oh, komplett! Ich wusste, dass das eines
Tages passieren wuerde, und ich wartete einfach darauf. Ich hatte einfach ein
wenig zu lange gewartet. Mein bester Freund hatte noch ein wenig laenger
gewartet. Er starb im Juli letzten Jahres. Wir waren Freunde, kein Liebespaar,
wir kannten uns einfach seit Ewigkeiten. Sein Freund war in den 80ern gestorben,
und ich sagte, "Richard, du musst einen Test machen!". Er starb im Juli, und ich blieb sprachlos zurueck.
Es waere nicht noetig gewesen. Es war ein voellig sinnloser Tod. Er starb
einfach kurz vor seinem 47. Geburtstag. Viel zu jung. GB:
Wenn man aelter wird, rueckt das Gefuehl von 'zu jung' nach hinten. Ploetzlich
scheint der Tod mit 68 unfair, waehrend man das vorher angemessen, ja fair fand,
findest du nicht auch? Chuck: Da kann ich dir nur beipflichten. GB:
Irgendwie denken wir doch alle, dass wir ewig leben, dieses Gefuehl verlaesst
uns nie wirklich. Chuck: Nun, als ich am Tiefstpunkt angelangt war,
schaute ich mich in meinem Haus um, das war Ende 1999, meine Mutter war
gestorben, und sagte mir, "Ich werde das Jahr 2000 nicht mehr erleben!"
Ich habe all diese goldenen Schallplatten und all diese niedlichen Dinge
ueberall in meinem Haus, und sie bedeuten mir nichts. Ich dachte, "Was habe
ich mit meinem Leben gemacht?". GB:
All diese Sachen lieben dich nicht, sie wissen nicht mal, dass du da bist. Chuck: Nein, tun sie nicht, es sind ja nur Dinge. GB:
Hattest du zu dieser Zeit das Glueck, eine Gruppe von Leuten zu finden, die dich
auffingen und unterstuetzen? Vielleicht einen Partner, jemanden, mit dem man die
alltaeglichen Dinge teilen kann? Chuck: Dieses Jahr werde ich 3 Monate in South
Beach, Florida verbringen. Nach der SuperBowl, ich habe einen Freund, der dort
lebt, und der hat mich einer Gruppe netter Leute vorgestellt. Ich verbringe
einfach etwas Zeit dort unten. Irgenwie weg aus Chicago fuer eine Weile. (Anmerkung
des Autors "... und weg von den endlosen Renovationen!“) Einfach jeden
Tag die Sonne geniessen. Ich will jeden Tag im Sommer aufwachen, ich will mich
nicht mehr mit Winter herumschlagen. GB:
Ich bin ueber all die Jahre zum Schluss gekommen, dass wir als Menschen sehr eng
darin verwickelt sind, einen Partner im Leben zu finden. Wir sind nicht dafuer
gemacht, ein ganzes Leben allein zu sein. Chuck: Das finde ich auch. Meine Verwandten haben
mir Fragen gestellt, als ich ihnen erzaehlt hatte, dass ich mich 'outen' wuerde.
Sie sagten, "Oh, iiek, musst du das wirklich tun, kann das nicht in der
Familie bleiben". Ich sagte, "Ich muss es nicht tun, aber ich will es." Ich erklaerte ihnen dann, dass ich eines Tages
gerne einen Partner haette. Sie sagten, "Ist deine Familie nicht genug?".
Worauf ich erwiderte, "Ist eure Famillie nicht genug?" Wenn du keinen
Grund hast, nach Hause zu kommen, oder du niemanden hast, den du jeden Abend
anrufen kannst, ist alles irgendwie sinnlos. Ich habe vor 5000 oder 10‘0000
Leuten gespielt, aber danach sass ich nachts allein in meinem Hotelzimmer. Solch
extreme Hochs und Tiefs an einem einzelnen Tag. GB:
Das ist nicht witzig! Fast eine Art Selbstmissbrauch. Einerseits wirst du
angehimmelt und andererseits ignoriert. Chuck: Es ist wirklich ein uebertriebenes Extrem.
Ich finde das ein generelles Problem der Unterhaltungskuenstler. Darum werden
dann Drogen und Alkohol so eine coole Sache. GB:
Du hast ueber all die Jahre einen Weg gefunden, zu ueberleben, auch wenn es
manchmal ein sehr schizoides Leben sein kann, und hast letztendlich einen Weg
gefunden, den Daemonen, die das Leben manchmal mit sich bringt, zu trotzen.
Chuck: Ich hatte eine unglaubliche Karriere. Sie
oeffnete mir neue Welten. Ich habe die ganze Welt bereist. GB:
...und jetzt ist es an der Zeit fuer eine weitere neue Welt fuer dich,
eine andere Form der Kreativitaet. Chuck: Komplett! Das ist mein Vorhaben. Nicht so
ernsthaft zu sein, etwas Spass zu haben. Einfach das zu finden, um was es jetzt
geht. Jetzt ist meine Zeit, mich nochmals zu entwickeln. Ich kann endlich die
Frage beantworten, "Wer bin ich?"
Ich kann endlich diese Rock’n’Roll – Schuhe ausziehen. Du findest Chucks Homepage unter: http://www.chuckpanozzo.com
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