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Chuck Panozzo in German

 

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Chuck Panozzo

 

Mehr als einmal habe ich gehoert, dass zu den Dingen, die die Leute an Global Bass schaetzen, das Gefuehl von 'zu Hause sein' gehoert, dieser familiaere, persoenliche Touch. Dass es viele Magazine fuer Bassisten gibt, die die technischen Aspekte sehr gut ausleuchten. Worin sich Global Bass unterscheidet, ist in der Geschichte um den Menschen hinter dem Instrument. Dass wir uns die Zeit genommen haben, den Star als fehlbaren, erheiternden, freundlich gesinnten Menschen, wie wir anderen alle auch, darzustellen. Der Verletzlichkeit genauso ausgesetzt wie wir alle. 

Zuerst verstimmte mich der Gedanke, dass man uns so betrachtete, aber nur bis ich realisierte, dass es eigentlich ein Aspekt ist, der es wert ist, weiterentwickelt zu werden. Unsere spezielle persoenliche Note.  

Hier ist nun also die Geschichte eines Mannes, der ein Leben voller riesiger Erfolge gelebt hat, aber die meiste Zeit davon voellig allein war. Er hatte grossen Wohlstand, finanzielle Sicherheit, wurde beruflich geschaetzt, und war trotzdem allein. Ein Geheimnis versteckend, das ihn zu frueheren Zeiten haette umbringen koennen. Dies ist die Geschichte eines Mannes, der fast zu spaet, aber gerade noch rechtzeitig herausgefunden hatte, um was es im Leben wirklich geht.  

Es muss etwas gesagt werden, wenn man die Gelegenheit bekommt, mit jemandem reden zu koennen, der Teil eines Musikerteams war, das die Musikkultur der 70er und 80er Jahre so enorm bereichert hat. Nur wenige Leute kennen den Song 'Come Sail Away' nicht, und viele, wenn nicht die meisten von uns kennen andere Lieder der Band STYX sehr gut. Selbst die relativ neue, aber schon klassische Werbung fuer Volkswagen, fuer die der STYX-Song 'Mister Roboto' verwendet wurde, hat eine ganze neue Generation von Hoerern auf diese Band aufmerksam gemacht. 

Chuck Panozzo war der Bassist all dieser Musik waehrend all der Jahre. In spaeteren Jahren uebergab er seinen Job aus gesundheitlichen Gruenden an den Bassisten/Gitarristen Glen Burtnik, der Styx urspruenglich als Gitarrist unterstuetzen sollte in den fruehen 90ern. 

Gelegentlich jedoch, wenn Styx in der Naehe von Chuck’s Wohnort spielen, dann kommt er bei einigen ihrer Hits als Gast auf die Buehne, und Glen wechselt zurueck zur Gitarre. Es ist ein Zeichen der Wertschaetzung der Band fuer die immense Rolle, die Chuck waehrend all der Jahre gespielt hat, und ein Geschenk, das Chuck zu schaetzen weiss. 

Global Bass: Ein herzliches Dankeschoen an dich und deine Bandmitglieder fuer all die grossartige Musik, Chuck! 

Chuck Panozzo:  Ich weiss zu schaetzen, dass du das sagst. 

GB:  Es gibt vieles, ueber das wir reden koennten, wir koennen uns auf deine Jahre in der Band konzentrieren, auf deinen kuerzlichen Entscheid zum 'coming out' als schwuler Mann und deinen Kampf gegen deine Krankeit, AIDS. Wenn wir diese Dinge besprechen, ist es nur selbstverstaendlich, das wiederzugeben, was du zu deiner Krankheit zu sagen hast, aber gleichzeitig koennen wir auch einen grossen Teil der Energie dieses Gespraechs dort verwenden, wo sie es verdient, naemlich bei deiner Zeit mit Styx. Das eine ist eine private Angelegenheit, das andere der eigentliche Grund fuer dieses Interview. 

Ich denke, es muss eine spezielle Tortur gewesen sein, waehrend all der Jahre als so bekannte Persoenlichkeit in Styx mitten im oeffentlichen Interesse zu sein und gleichzeitig sein Privatleben verstecken zu muessen, als ob es ein dunkles Geheimnis bergen wuerde. 

Chuck: (bezieht sich auf seine Entscheidung zum 'coming out') Es war das befreiendste Gefuehl, das ich je in meinem ganzen Leben hatte. Ich habe das schon bei frueheren Interviews gesagt, ich haette das nie einfach fuer mich als Mensch getan. Ich bin jetzt der Sprecher des National Campaign for Coming Out Day. Ich habe das fuer mich selber getan. Aber ich wuerde nie jemand anderen 'outen', das ist ein Teil der eigenen Erfahrung, damit umzugehen. Erst wenn man bereit ist, es selber zu tun. Ich wuerde ihnen gerne sagen, “Wenn ihr das macht, werdet ihr so gluecklich sein, habt keine Angst vor Ablehnung. Das schmilzt einfach weg.“ 

GB: Hattest du in frueheren Jahren mit Leuten in Bands Kontakt, die gewusst haben dass du schwul warst, und die sich dir anvertraut hatten? Oder war das veboten? 

Chuck: Es war sogar verboten, darueber zu reden. Man war sehr isoliert. 

GB:  Du wirst mit folgender Aussage zitiert, "Ich hatte Angst davor, dass jemand etwas in meinem Inneren sehen wuerde, und dann meint, 'Oh, eine Frucht', darum wurde ich ein Niemand fuer mich selber und alle anderen.".  Nun, das ist ein Schluesselsatz, "Ich wurde ein Niemand fuer mich selber". 

Chuck: Weisst du, ich fuehlte mich sehr ausgestossen. Ich pflegte immer zu scherzen, dass ich zwar maennlich genug aussehe, aber den muendlichen Test nie bestehen wuerde. Ich hatte Angst, wie eine Elfe zu toenen, wie eine 'Schwuchtel!' Dieser Ausdruck wurde verwendet, ein beschaemender Begriff. Also redete ich nie so viel. (Bemerkung des Autors: Nicht dass es eine Rolle spielt, aber Chuck toent ueberhaupt nicht feminin. Ich denke, dass dieses Sich-selbst-verleugnen ein Teil des Kampfes war. Die negative Meinung, die er von sich selber diesbezueglich hatte, fussten nicht in der Realitaet.) 

GB: Findest du das wirklich, dass du so toenst? 

Chuck: Als ich juenger war, sagten mir manche Leute, 'Oh, du toenst wie ein Weichling'. Ich nahm das extrem persoenlich. Vielleicht hatte jemand einfach eine grosse Klappe, aber weil ich schwul war (und dieser Begriff exisitierte noch nicht mal, als ich jung war), dachte ich, 'Oh nein, sag sowas nicht, denn wenn du das tust, dann sagt der Priester, ich komme in die Hoelle! Dann muss ich zum Psychiater gehen und all diese beschaemenden Dinge, sogar meine Eltern werden mich verstossen'. Es gibt immer noch Leute, die das durchmachen muessen. Egal wie alt du bist, solche Worte verletzen immer. Sie verfolgen dich den Rest deines Lebens. 

GB: Die traurige Ironie ist, dass niemand bewusst ein Leben aussuchen wuerde, das sie aus der Masse heraustrennt, das sie zum Objekt des Spottes so vieler macht. Ich wurde als Linkshaender geboren. Es war keine bewusste Wahl, ich wurde einfach so geboren. Wie ich gehoert und gelesen habe, ist es dasselbe mit jemandem, der schwul ist. Man wird so geboren, genauso wie man als Schwarzer oder Weisser, blond oder bruenett, maennlich oder weiblich usw. geboren wird. Wie auch immer, das hat eigentlich mit dem Interview zu tun. Wie waere es, wenn wir das Thema wechseln und ueber die Band reden, mit der du all diese Jahre verbracht hast? 

Wenn ich das richtig verstanden habe, spielst du gelegentlich noch immer bei Konzerten mit diesen Jungs mit, falls es Zeit und Terminplan erlauben? 

Chuck: Ich machte diese 40-Staedte Sommertournee mit Styx und Bad Company und Billy Squier, und generell fuehlte ich mich in Ordnung. Ich bin HIV-positiv, darum muss ich sehr auf meine medizinische Versorgung achten. Ich nehme das sehr ernst, denn ich war 2 Jahre wirklich sehr krank. Ich werte das ueber alles andere, ich weiss, wie wichtig das ist. Das kommt heute an erster Stelle. 

Weisst du, die Jungs waren sehr nett zu mir, ich durfte mir die Staedte aussuchen, wo ich hinwollte. Ich muss nur 3 Songs spielen. Glen Burtnik, der 1991 urspruenglich unser Gitarrist war, passte perfekt. Ich weiss, er ist ein grossartiger Musiker, ein toller Spieler mit viel Energie. Als die Frage aufkam, wer Chuck’s Platz auf der Tournee einnehmen soll als ich ihnen sagte, ich sei nicht in der Lage dazu, da sprang Glen in diese Luecke. 

GB: Es ist gut, dass er einfach auf die Gitarre wechseln kann, es waere wohl etwas komisch, wenn er die Buehne verlassen muesste, wenn du fuer deine drei Songs raufkommst. Das koennte beim Publikum den Eindruck eines Wettbewerbs oder einer Konkurrenzsituation zwischen euch beiden erwecken.  

Chuck: Ich habe schon gehoert, als Leute nach dem Konzert an diesen 'meet and greet' zu Glen sagten "Oh, du spielst grossartig", da hat sich Glen ihnen zugewendet und gesagt, "Ich spiele lediglich Chuck’s Parts". 

GB:  Das ist ziemlich selbstlos. 

Chuck: Das ist sehr selbstlos! Er ist ein grossartiger Musiker, und er spielt 'meine Parts' einfach toll. Das ist sehr wichtig fuer mich. Aber ich fand das cool, denn der Typ hat das nicht richtig kapiert. 

GB:  Er hat das sehr nett umschrieben. Ich habe kuerzlich in der  Zeitung gelesen, dass es eine Reihe neuer Medikamente gibt, die ein Fortschreiten des HIV beinahe stoppen und das Leben des Patienten extrem verlaengern und die Lebensqualitaet steigern koennen. 

Chuck: Die Lebensqualitaet ist sehr wichtig. Es macht keinen Sinn, Medikamente zu nehmen, die dich die ganze Zeit krank machen. Das kann dir das Leben entziehen, sodass du nur noch existierst. Es sind jedoch grossartige Medikamente in der Entwicklung, ich bin in einer Versuchs-Studie dabei, und fuer mich funktioniert es wirklich sehr gut. Der 'Cocktail' wirkt, und ich sage immer allen Leuten, 'macht den Test'. Bring es hinter dich bevor du zu krank wirst! Weil wenn du krank wirst, koennen viele Komplikationen entstehen, und es ist schwieriger, sich wieder zu erholen. 

GB: Weil der Koerper an verschiedenen Fronten kaempfen muss? 

Chuck: Genau. 

GB: Konzentrieren wir uns jetzt eine Weile auf die Musik. Wie bist du damals auf den Bass gekommen, war es 'hey, er ist der Gitarrist, also spiele ich den Bass'? 

Chuck: Urspruenglich haben mein Bruder (John) und ich als Schlagzeuger angefangen. Natuerlich war John ein grossartiger Schlagzeuger, und ich war furchtbar! Wir brauchten also einen Bassisten, und ich fing an, Bass zu spielen. Ich habe mir das meiste selber beigebracht, was man manchmal etwas merkt, wie ich finde. Aber ich denke, ich spielte melodischer, und das passte zu unserer Musik. 

GB: Hast du die Songs mitbeeinflusst mit den Basslinien, die du kreiert hast? 

Chuck: All die Arrangements sind von mir. 

GB: Sichert dir das Urheberrechte? 

Chuck: Ich habe die Veroeffentlichungs- und Urheberrechte. Der Titeltext von 'Show Me The Way' war meine Idee. Dennis hat das schriftlich verdankt. Urspruenglich sollte es heissen 'Roll Me Away' und ich sagte, "Hey Dennis, versuchen wir’s mal mit diesem Text". Ich bin irgendwie stolz darauf. 

GB: Bist du je ein Equipment-Sammler gewesen? 

Chuck: Nicht wirklich, nein. Jetzt gehe ich direkt aus dem Hauptsystem und einem Ohr-Monitor. Ich bin da irgendwie aus dem Zeug rausgekommen. Das war zu kompliziert fuer mich! (lacht). Ich habe einige Alembic-Baesse. Ich glaube, ich habe einen ganzen Tropenwald abgeholzt, indem ich sagte, 'Oh, nimm dieses Holz, nimm jenes Holz!'. Dann wurde mir bewusst, 'Oh, was habe ich getan?". Aber es sind wunderschoene Baesse, ich liebe es, wie sie aussehen. 

Hier unterbricht Chuck einen Augenblick, um einen anderen Anruf entgegenzunehmen. Es ist ein Renovations-Bauarbeiter... 

Chuck: Das hat nur 5 Jahre gebraucht. Bau nie etwas um, ZIEH UM! Du kannst mich darauf behaften! Chuck Panozzo sagt, renoviere nie, ziehe einfach aus.' Es ist alles voller Saegemehl hier! Dieser Typ war ziemlich gut. Kuerzlich hat er mich gefragt, wie lange er schon an diesem Projekt arbeitet. Ich sagte, "Fuenf Jahre, Gerry!". 

Das Telefon laeutet nochmals, aber diesmal ist es ein Fan, der Chuck’s Nummer irgendwie rausgefunden hat... er ist hoeflich, stellt aber deutlich klar, dass dies eine private Telefonnummer ist. 

Chuck: Weisst du, ich weiss nicht mal, wer das war! 

GB: Du bist also mit der Band auf die 40-Staedte-Tour gegangen. Das war viel Arbeit! Falls Styx die 2002er Tournee machen, was ja offenbar im Gespraech ist, denkst du, du wuerdest wieder mitgehen, wenn du dich gesund genug fuehlst? 

Chuck: Ich koennte vielleicht einen Teil mitmachen, das Hauptproblem war, dass der Transport wirklich schwierig war fuer mich. Die Busreisen waren wirklich zu hart, ich konnte mich nicht genuegend erholen. Ich konnte auch meinen Diaetplan nicht einhalten im Bus. Ich habe waehrend der ganzen 9 Wochen nicht wirklich gut geschlafen. Es war streng. Darum wuerde ich heute einfach zu Konzerten einfliegen. Ich habe es versucht, ich habe mein persoenlich Bestes getan, aber am Ende war ich einfach fertig. 

GB: Nun, die Band wollte sicher nicht, dass du dir etwas antust, was dir grossen Schaden oder Schmerzen zufuegt. Sowas tun Freunde nicht.  

Chuck: Nein, sie waren wirklich grossherzig. 

GB: Ich habe irgendwo gelesen, dass irgendein Manager oder Finanzberater Styx solchermassen kommentiert hatte, sie seien wie Mc Donalds, die Hamburger vermarkten. Dass ihr natuerliche Geschaeftsleute seid. Dass ihr sogar eure Tourneen selber planen, bis ins kleinste Detail. 

Chuck: Nun, ich schaetze das irgendwie, aber ich habe es gehasst, wenn die Leute sagten, wir seien ein Rock-Unternehmen. Das stimmt ueberhaupt nicht. Wir haben mit der Band in unserem Keller angefangen, als kleine Jungs. Wir haben uns unseren Weg dorthin erarbeitet. Weisst du, wir waren ziemlich intelligent, wir haben alle das College abgeschlossen, darum sahen wir das als ein Geschaeft an. Um zu ueberleben, musst du Geld verdienen. Es ist irgendwie lustig, manche Leute sagen, man muss kein Geld machen. Das ist zwar suess, aber es entspricht nicht der Realitaet. 

GB: So standen die Dinge eine lange Zeit gut, ihr Jungs wart sehr gute Freunde. Aber alles veraendert sich, und ich spreche hier von Dennis. Er wollte mehr in Richtung Theater gehen, und ihr habt euch in verschiedene Richtungen entwickelt. Das verschlimmerte sich immer mehr (Die Band und Dennis DeYoung prozessierten einander wegen der Verwendung des Bandnamens. Als ihr letztes Album erschien, hatte Dennis keine Zeit fuer eine Tournee. Er wollte eine Weile pausieren, aber die Band wollte losziehen. Sie bestanden darauf, dies trotzdem unter dem Namen Styx zu tun. Jetzt hat Dennis die Band wegen dem Gebrauch des Bandnamens verklagt). Zur Zeit singt Lawrence (von Strange Animals, A Criminal Mind fame) Gowan die Choere der Band, die zuvor Dennis gesungen hat. Im Februar 2002 muessen sie in dieser Sache vor Gericht erscheinen. 

Chuck: Ich weiss nicht sicher, wann das Datum ist, ich weiss, ich muss im September eine Zeugenaussage machen. Ich freue mich nicht gerade darauf. Aber es ist eine unglueckliche Situation. Ich kenne Dennis seit 40 Jahren und ich wuensche ihm nur das Beste. Es tut mir so leid, dass er so verletzt ist, das ist die Wahrheit. Er muss tun, was fuer ihn richtig ist und ich muss tun, was fuer mich richtig ist.  

GB: Eine Band ist wie ein Teil deiner grossen Familie. Es sind du und der Rest der Band, die gemeinsam all die Dinge und Probleme durchstehen. Wenn du Glueck hast, kann das Jahrzehnte andauern. Du weisst am Ende alles ueber die anderen Leute, oft mehr als du eigentlich gewollt hast, einfach dadurch, dass man so viel Zeit miteinander verbracht hat... und wenn es vorbei ist, hast du jede Menge Munition. Weil du SEHR VIEL von den anderen weisst. Es kann ein Masstab der inneren Groesse sein, dieses Wissen nicht gegeneinander zu verwenden. Sich bewusst zu werden, dass alles einmal zu Ende geht, es einfach loszulassen. 

Chuck:  Absolut. Da stimme ich voll und ganz mit dir ueberein. Da gibt es diese Paare, die bei der Scheidung ihre ‘dreckige Waesche waschen‘. Ich finde das echt widerwaertig. Aus diesem Grunde versuche ich, moeglichst wenig ueber das Ganze zu sagen. Es ist nicht noetig, dass sich die Fans mit diesen Dingen auseinandersetzen muessen. Was da vor sich geht, muss nicht von der Oeffentlichkeit abgeurteilt werden. 

GB: Ich habe gelesen, dass die Kritiken ueber die Band nicht allzu schlecht waren. 

Chuck:Ich denke, am Anfang haben sie nicht verstanden, was wir waren. Wir waren eine ArtRock Band, und ich glaube nicht, dass sie das verstanden haben. Ich denke, manchmal wollen die Kritiker eine Band finden und sie aufziehen als ob sie es gewesen waeren, die die Gruppe entdeckt haben. Aber wir waren bereits da, wir kamen aus dem Mittleren Westen. Sie konnten uns nicht 'entdecken'. Fuer sie musste man von der Ost- oder Westkueste sein. 

GB: Findest du, du hast heute die Zeit und verspuerst den Wunsch, selber etwas zu schreiben? 

Chuck: Ich finde, ich entferne mich davon, Songs zu schreiben. Es ist mehr Erinnerungen, ein Tagebuch schreiben, es gibt sogar Leute, die wollen, dass ich ein Buch schreibe. Ich versuche mich im Moment nicht auf Musik zu konzentrieren. Ich fuehle mich innerlich zerrissen darueber, wie involviert ich wirklich sein kann. Ich mache da ziemlich was durch. Ich gehe jetzt einfach einen Schritt zurueck. 

GB: Hattest du, als du dich den 50 Jahren genaehert hast, das Gefuehl, du kommst ein bisschen in eine Mid-Life Crisis? Mehr als nur ein paar meiner Freunde wurden davon in vielerlei Hinsicht beeinflusst, einige etwas aussergewoehnlicher als die anderen. 

Chuck: Nun, meine Mutter lag im Sterben, mein Bruder (John) war ein paar Jahre eher gestorben. Ich war sehr krank geworden, mein bester Freund seit 22 Jahren war tot. Also, Mid-Life Crisis, ja!!! Viel mehr als das konnte ja nicht mehr passieren, was Krisen anbetrifft! 

GB: Und das war ja alles nicht nur in deinem Kopf, diese Dinge sind wirklich passiert. 

Chuck: Das waren reale Situationen. Ich musste mein Leben wirklich neu bewerten, und wohin ich wollte. Ich musste mich mehr auf mein persoenliches Leben im ‘hier und jetzt‘ konzentrieren. Jemand fragte mich, was ich fuer meine Karriere aufgegeben hatte. Ich antwortete: "Alles!". 

GB: Nun, vielleicht ist es jetzt Zeit fuer dich. Du hast all die Jahre, ja Jahrzehnte, damit verbracht, Musik zu machen. Manchmal kommt man im Leben an einen Punkt, wo es Zeit ist fuer etwas Neues. Denkst du, dass die Idee des Buches, deiner Memoiren dir ermoeglichen wird, auf eine neue Art kreativ zu sein, die mehr deinem jetzigen Standpunkt im Leben entspricht? 

Chuck: Ich habe ein Kunst-Lehrdiplom, ich war Kunstlehrer. Ich moechte wieder mehr malen und zeichnen. Ich habe Kurse in Jazz Bass, klassischem Kontrabass, Kunstkurse besucht, ich moechte einfach Dinge tun, die mich gluecklich machen. Dinge, die man normalerweise zwischen 65 und 75 Jahren macht. Ich kann mir diese Dinge jetzt herauspicken, das geniesse ich wirklich sehr. 

GB:  Lawrence 'Larry' Gowan, der jetzige Saenger von Styx, hat in Kanada mit einer Reihe sehr erfolgreicher Songs angefangen wie "Strange Animal" und "A Criminal Mind". Er hat aus diesem Erfolg ein schlaues Geschaeft gemacht und eine kreative Wahl getroffen, indem er zu den Styx gewechselt hat. Eine weise Entscheidung seinerseits. 

Chuck: Ich mag Larry sehr gern. Er ist ein grosses musikalisches Talent, er ist ein grossartiger Mesch, und bringt mich immer zum Lachen! Wann immer ich mit ihm rede, lache ich mich beinahe tot! 

Das Telefon laeutet abermals, und Chuck ist fuer einen Moment weg. Ein vielgefragter Typ! 

Chuck: Entschuldige! Naechsten Donnerstag findet dieser Tanz zugunsten HIV-positiver Leute statt, den das medizinische Zentrum, bei dem ich bin, sponsort. Ich bin im Unterhaltungs-Kommittee. Ich kriege eine signierte Gitarre fuer eine stille Auktion und habe eine kleine Band zusammengestellt fuer diesen Anlass. Jetzt werde ich ploetzlich Produzent und Direktor und all das! Ich habe jetzt mehr Demobaender von Bands zu Hause denn je, die alle wollen, dass ich sie mir anhoere. 

GB: Ich sehe, du bewegst dich jetzt mehr auf literarisch kreativen Pfaden, aber hast du waehrend deiner Jahre bei Styx je mit dem Gedanken gespielt, ein Soloalbum zu realisieren? 

Chuck: Weisst du, das habe ich nie gemacht. Ich weiss nicht, wie ueberlebensfaehig das gewesen waere. Vielleicht fehlte mir einfach der Mut. Ich habe immer mit John darueber geredet, zusammen ein Video zu drehen, aber aus irgendeinem Grund kam das nie zustande. Wir waren ein tolles Rhythmus-Team, das zusammenpasste. Ich habe immer gedacht, er hat einfach nicht lange genug gelebt, damit wir das haetten machen koennen. Es haette ein kleines bisschen mehr gebraucht, ein wenig mehr Reife auf unseren Instrumenten, und wir bewegten uns sowieso in diese Richtung. Aber irgendwie haben wir es einfach nie geschafft. 

GB: Wart ihr auch gute Freunde? 

Chuck: Nun, wir waren Zwillinge, also waren wir recht gute Kumpel. Wir verbrachten viel Zeit zusammen. Es war eine schwierige Situation, zu sehen, was er waehrend der letzten Jahre seines Lebens durchmachte. Ich war fuer ihn da, aber wenn ich das Ende haette besser schreiben koennen, ich haette es getan. Das war nicht meine Wahl. 

GB: Hat er dir aehlich gesehen, als Zwilling? 

Chuck: Nun, viele Leute sagen, ich sehe ihm heute sehr aehnlich. Das verwirrt mich sehr, denn ich war immer der Schoenere von uns Zwillingen (lacht). Ich sagte, "Oh, ich sehe nicht so aus, ich sehe ueberhaupt nicht aus wie er". 

Ich habe einen Trainer, der mir hilft, mit allem fertigzuwerden. Ich mache das drei mal die Woche, das hilft mir sehr, seelisch wie auch koerperlich. Es hilft mir wirklich aus meinem Kopf heraus. Ich hatte 50 Pfund abgenommen, ich war vor zwei Jahren auf 130 Pfund runter. Das hat einen grossen Einfluss auf dein Selbstbewusstsein. Ich fuehlte mich besser, aber ich wollte einfach sicher sein, dass ich besser aussehen wuerde.  

GB: Kein erwachsener Mann ist dafuer geschaffen, 130 Pfund schwer zu sein! Bei dem Untergewicht musst du erschoepft gewesen sein. 

Chuck: Nun, weisst du, die Jungs (Styx) waren sehr besorgt. Sie hatten mich zwei Jahre lang nicht gesehen. Ich habe von 1997 bis 1999 abgenommen. Als sie mich am PBS Special gesehen hatten, waren sie toat schockiert ueber mein Aussehen. Zu der Zeit war ich aber schon bereit, zum Arzt zu gehen. Ich hatte lange Zeit ueberhaupt nicht bemerkt, wie nahe ich dem Tode gewesen war. 

GB: Denkst du, du hast es nicht bemerkt, weil sich das langsam vollzog? 

Chuck: Es brauchte eine Weile. 

GB: Und auch das Verleugnen. 

Chuck: Oh, komplett! Ich wusste, dass das eines Tages passieren wuerde, und ich wartete einfach darauf. Ich hatte einfach ein wenig zu lange gewartet. Mein bester Freund hatte noch ein wenig laenger gewartet. Er starb im Juli letzten Jahres. Wir waren Freunde, kein Liebespaar, wir kannten uns einfach seit Ewigkeiten. Sein Freund war in den 80ern gestorben, und ich sagte, "Richard, du musst einen Test machen!". 

Er starb im Juli, und ich blieb sprachlos zurueck. Es waere nicht noetig gewesen. Es war ein voellig sinnloser Tod. Er starb einfach kurz vor seinem 47. Geburtstag. Viel zu jung. 

GB: Wenn man aelter wird, rueckt das Gefuehl von 'zu jung' nach hinten. Ploetzlich scheint der Tod mit 68 unfair, waehrend man das vorher angemessen, ja fair fand, findest du nicht auch? 

Chuck: Da kann ich dir nur beipflichten. 

GB: Irgendwie denken wir doch alle, dass wir ewig leben, dieses Gefuehl verlaesst uns nie wirklich.  

Chuck: Nun, als ich am Tiefstpunkt angelangt war, schaute ich mich in meinem Haus um, das war Ende 1999, meine Mutter war gestorben, und sagte mir, "Ich werde das Jahr 2000 nicht mehr erleben!" Ich habe all diese goldenen Schallplatten und all diese niedlichen Dinge ueberall in meinem Haus, und sie bedeuten mir nichts. Ich dachte, "Was habe ich mit meinem Leben gemacht?". 

GB: All diese Sachen lieben dich nicht, sie wissen nicht mal, dass du da bist. 

Chuck: Nein, tun sie nicht, es sind ja nur Dinge. 

GB: Hattest du zu dieser Zeit das Glueck, eine Gruppe von Leuten zu finden, die dich auffingen und unterstuetzen? Vielleicht einen Partner, jemanden, mit dem man die alltaeglichen Dinge teilen kann? 

Chuck: Dieses Jahr werde ich 3 Monate in South Beach, Florida verbringen. Nach der SuperBowl, ich habe einen Freund, der dort lebt, und der hat mich einer Gruppe netter Leute vorgestellt. Ich verbringe einfach etwas Zeit dort unten. Irgenwie weg aus Chicago fuer eine Weile. (Anmerkung des Autors "... und weg von den endlosen Renovationen!“) Einfach jeden Tag die Sonne geniessen. Ich will jeden Tag im Sommer aufwachen, ich will mich nicht mehr mit Winter herumschlagen. 

GB: Ich bin ueber all die Jahre zum Schluss gekommen, dass wir als Menschen sehr eng darin verwickelt sind, einen Partner im Leben zu finden. Wir sind nicht dafuer gemacht, ein ganzes Leben allein zu sein. 

Chuck: Das finde ich auch. Meine Verwandten haben mir Fragen gestellt, als ich ihnen erzaehlt hatte, dass ich mich 'outen' wuerde. Sie sagten, "Oh, iiek, musst du das wirklich tun, kann das nicht in der Familie bleiben". Ich sagte, "Ich muss es nicht tun, aber ich will es." 

Ich erklaerte ihnen dann, dass ich eines Tages gerne einen Partner haette. Sie sagten, "Ist deine Familie nicht genug?". Worauf ich erwiderte, "Ist eure Famillie nicht genug?" Wenn du keinen Grund hast, nach Hause zu kommen, oder du niemanden hast, den du jeden Abend anrufen kannst, ist alles irgendwie sinnlos. Ich habe vor 5000 oder 10‘0000 Leuten gespielt, aber danach sass ich nachts allein in meinem Hotelzimmer. Solch extreme Hochs und Tiefs an einem einzelnen Tag. 

GB: Das ist nicht witzig! Fast eine Art Selbstmissbrauch. Einerseits wirst du angehimmelt und andererseits ignoriert. 

Chuck: Es ist wirklich ein uebertriebenes Extrem. Ich finde das ein generelles Problem der Unterhaltungskuenstler. Darum werden dann Drogen und Alkohol so eine coole Sache. 

GB: Du hast ueber all die Jahre einen Weg gefunden, zu ueberleben, auch wenn es manchmal ein sehr schizoides Leben sein kann, und hast letztendlich einen Weg gefunden, den Daemonen, die das Leben manchmal mit sich bringt, zu trotzen.  

Chuck: Ich hatte eine unglaubliche Karriere. Sie oeffnete mir neue Welten. Ich habe die ganze Welt bereist. 

GB:  ...und jetzt ist es an der Zeit fuer eine weitere neue Welt fuer dich, eine andere Form der Kreativitaet.

Chuck: Komplett! Das ist mein Vorhaben. Nicht so ernsthaft zu sein, etwas Spass zu haben. Einfach das zu finden, um was es jetzt geht. Jetzt ist meine Zeit, mich nochmals zu entwickeln. Ich kann endlich die Frage beantworten, "Wer bin ich?"  Ich kann endlich diese Rock’n’Roll – Schuhe ausziehen.

 

Du findest Chucks Homepage unter: http://www.chuckpanozzo.com

 

Edith Hofmann

 

 

 

 

                                  

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Last modified: June 16, 2009